english

Presseecho vom 01.04.2005

Bewegtes Land

Halbzeit bei der Internationalen Bauausstellung Fürst-Pückler-Land 2000 - 2010



von Oliver G. Hamm

Wohl kaum ein anderes Gebiet der Bundesrepublik ist in den letzten rund einhundert Jahren so gravierend verändert worden wie die Lausitz. Die Internationale Bauausstellung (IBA) Fürst-Pückler-Land hat sich vorgenommen, den gegenwärtigen und noch lange währenden Prozess des erneuten nachhaltigen Eingriffs in die Landschaft planerisch zu begleiten. Zur Halbzeit der auf zehn Jahre angelegten Projektphase präsentiert sie eine Werkschau im Zentrum des "IBA-Lands".

Bauausstellungen, auch solche mit internationalem Renommee, hat Deutschland im 20. Jahrhundert zahlreiche gesehen. Ob auf der Mathildenhöhe in Darmstadt (1904), in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung (1927) oder gleich zweimal in Berlin (Interbau 1957 und IBA 1984/87) - stets ging es ums Bauen, um das Experimentieren mit neuen Siedlungsformen und Architekturen, in Berlin 1984/87 erstmals auch im Kontext bestehender und für erhaltenswürdig und modernisierungsfähig erachteter Bausubstanz. Mit der IBA Emscherpark 1989-1999 hoben Karl Ganser und seine Mitstreiter erstmals eine Bauausstellung ganz neuen Typs aus der Taufe: Im nördlichen Teil des Ruhrgebiets ging es zwar auch noch ums Bauen, in erster Linie aber um das Erhalten und Gestalten einer postindustriellen Stadtlandschaft. Doch nun dreht die IBA Fürst-Pückler-Land, die sich in ihrer Anfangsphase noch die Vorgänger-IBA rund um die Emscher zum Vorbild genommen hatte, die Schraube noch weiter.

Ideen für die (Re-)Kultivierung einer Landschaft

Am Anfang war eine „Vision von einem Land in unserer Zeit“ (so der Untertitel eines 1997 erschienenen Buches „Fürst-Pückler-Land“), in der der Architekt und Stadtplaner Wolfgang Joswig und der Garten- und Landschafts-architekt Helmut Rippl Ideen für eine (Re-)Kultivierung der durch den Braunkohletagebau geformten Niederlausitz zu Papier brachten, aber auch den reichhaltigen und bis heute wenig bekannten Fundus an Park- und Gartenstadtlandschaften ebendort würdigten. Ihr Wunsch (und der vieler anderer) war es, die Gestaltung der Tagebaufolgelandschaften nicht allein den Technokraten zu überlassen, sondern diese landschaftsplanerisch und künstlerisch zu begleiten. Genau dieser Aufgaben nahm sich schließlich die im Jahr 1999 ins Leben gerufene Internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land an, die in diesem Jahr Zwischenbilanz zieht.

Fürst-Pückler-Land? Nicht von ungefähr wählte die IBA Fürst Hermann Heinrich von Pückler-Muskau (1785-1871) zu ihrem Namenspatron. Schließlich hatte schon der umtriebige Parkschöpfer - berühmt sind seine Werke in Bad Muskau, Potsdam-Babelsberg und Branitz - keine Kosten und Erdbewegungen gescheut, um dort, wo vorher Nichts war, Meisterwerke der Landschaftsarchitektur zu schaffen. So ungewöhnlich die Beziehung zwischen industrieller Folgelandschaft und anspruchsvoller Gartengestaltung zunächst auch erscheinen mochte - für den zum Geschäftsführer der IBA berufenen Rolf Kuhn war sie naheliegend, hatte er sich doch schon in seiner Zeit als Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau jahrelang mit dem Projekt „Industrielles Gartenreich“ beschäftigt, einer Versöhnung des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs mit der Industrielandschaft um Bitterfeld.

Vor fünf Jahren nahm die IBA-Geschäftsstelle in dem für sie hergerichteten ehemaligen Beamtenwohnhaus der Ilse-Bergbau AG in Großräschen bei Senftenberg ihren Betrieb auf. Seitdem entwickelt ein relativ kleines, aber engagiertes und schlagkräftiges Team Ideen und Projekte von einer erstaunlichen Bandbreite. Mit der IBA-Werkschau 2005 will die Internationale Bauausstellung nicht nur eine (Zwischen-)Bilanz des bisher Erreichten ziehen, sondern auch einen Ausblick auf die in den folgenden fünf Jahren noch zu bearbeitenden Projekte geben, die zum Teil weit über das offizielle Ende der IBA im Jahr 2010 hinaus reichen werden.

Die größte Seenkette Deutschlands

Der Transformationsprozess der Landschaft in der Lausitz bemisst sich seit jeher in Jahrzehnten: Von der Einrichtung eines Tagebaus bis zum Abschluss der Rekultivierung vergeht schon mal ein Menschenleben. Um welche Dimensionen es sich dabei handelt, vermögen zwei Zahlen zu vermitteln: So hat die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV), welche die Sanierungspflichten der ehemaligen DDR-Staatsbetriebe übernommen hat, seit 1990 fast 100000 Hektar ehemalige Tagebauflächen so aufbereitet, dass jeweils etwa ein Viertel davon als Wasser-, Landwirtschafts-, Forstwirtschafts- und Naturschutzfläche genutzt werden kann. Allein am südlichen Rand des „IBA-Lands“ (zwischen den deutsch-polnischen GrenzstädtenGuben/Gubin im Norden, dem Kraftwerk Plessa bei Lauchhammer im Westen, Hoyerswerda im Süden und Pücklers Park in Bad Muskau im Osten) entsteht eine rund 14000 Hektar große Seenkette. In rund zehn Jahren, wenn auch der letzte Tagebausee seinen endgültigen Pegelstand erreicht, wird die ehemalige Wüstenlandschaft zwischen Großräschen und Hoyerswerda über eine größere Wasserfläche als die Mecklenburg-Vorpommersche Seenplatte verfügen - beste Voraussetzungen für einen momentan noch in den Kinderschuhen steckenden Tourismus, der sich (auch hier in der Lausitz) als eine der wenigen Zukunftschancen herauszukristallisieren beginnt.

Die weltweit größte bewegliche technische Anlage

Das „IBA-Land“ verfügt über ein weiteres Superlativ: Die F60, eine Abraumförderbrücke in Lichterfeld bei Finsterwalde, ist weltweit die größte bewegliche technische Anlage, die jemals gebaut wurde. 502 Meter lang und rund 11000 Tonnen schwer, diente sie ihrem eigentlichen Zweck ganze 13 Monate, ehe sie im Juni 1992 aus energiepolitischen Gründen stillgelegt wurde. Dank des Engagements lokaler Akteure, der IBA, des Landes Brandenburg und der LMBV wurde sie nicht, wie (auch heute noch) so viele andere Monumente des Tagebaus in der Lausitz, verschrottet, sondern zum „Besucherbergwerk“ umgerüstet. Seit Mai 2002 können Besucher bis zur Spitze der 80 Meter hohen Brücke steigen und den Blick über den gar nicht mehr so „platten Pfannkuchen“ (wie Fürst von Pückler-Muskau „seine“ Lausitz bezeichnet hatte) schweifen lassen. Seit Oktober 2003 bereichert das Licht-Klang-Kunstwerk „Lichterfeld F60“ von Hans Peter Kuhn das beeindruckende Bauwerk noch zusätzlich. Doch trotz eines solchen Flaggschiffs wie der F60, die im vergangenen Jahr immerhin 90000 Besucher anlockte - verglichen mit dem etwa gleich großen „Emscher-land“, in dem allerdings rund zehnmal so viele Menschen wohnen wie in der sich seit Jahren stetig entvölkernden Niederlausitz (mit gerade einmal noch 500000 Einwohnern), verfügt das „IBA-Land“ längst nicht (mehr) über eine solche Vielzahl hochkarätiger Relikte der Industriekultur wie das Ruhrgebiet. Gleichwohl bergen die wenigen erhaltenen Industriebauten teils über enorme Potentiale, die allerdings erst einmal erkannt und genutzt werden müssen.

Neue Nutzungen für Landmarken gesucht

Zwei Beispiele: In Lauchhammer wurde nach der Wiedervereinigung nahezu die komplette, in den 1950er Jahren entstandene Großkokerei (die weltweit einzige, die aus Braunkohle großindustriell Hochtemperaturkoks erzeugte) spurlos beseitigt. Nur die 1958/59 in Betrieb genommene Turmtropfkörperanlage, die der biologischen Nachreinigung der Phenol-Dünnwässer diente, blieb erhalten, weil nach ihrer Stilllegung die IBA für ihren Erhalt kämpfte. Inzwischen ist mit der Stiftung Kunstgussmuseum Lauchhammer ein neuer künftiger Eigentümer gefunden, der die „Biotürme“ nicht nur als imposante Landmarke erhalten, sondern als Veranstaltungsort nutzen will.

Nur wenige Kilometer sowohl von der F60 als auch von den Biotürmen entfernt, wartet auch auf das Kraftwerk Plessa eine neue Nutzung. Pläne wurden für das Kraftwerk schon viele gemacht, zuletzt sprang ein Biodiesel-Produzent ab, weil bei der Sanierung des Kraftwerks zuvor ungeahnte Asbest-Probleme auftauchten (und weil Sachsen bei der Förderung einer Industrie-Neuansiedlung cleverer war?). Nun favorisiert Geschäftsführer Hajo Schubert eine - für Besucher zugängliche - Obstveredelung, eine Erlebnisbrauerei (mit einem tschechischen Partner), Manufakturen und eine Modellbauwerkstatt. Für die ehemaligen Kühltürme und für ein mögliches Besucher-Eingangsbauwerk werden noch Ideen gesucht, möglicherweise über einen Architekturwettbewerb.

Neun Landschaftsinseln

Die Internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land hat ihre mittlerweile zwei Dutzend Projekte auf neun thematisch unterschiedliche Landschaftsinseln verteilt. Die F60, die Biotürme und das Kraftwerk Plessa bilden die Landschaftsinsel 2 „Lauchhammer-Klettwitz: Industriekultur“. Ihr am nächsten liegt die Landschaftsinsel 1 „IBA-Zentrum“ mit dem Industriepark und der (sanierten) Gartenstadt Marga sowie dem IBA-Auftaktgebiet in Großräschen. Hier, nahe dem Sitz der IBA-Geschäftsstelle und direkt unterhalb der IBA-Terrassen (Veranstaltungs- und Ausstellungsneubau von Ferdinand Heide), wird sich in wenigen Jahren der Ilse-See erstrecken, der den Auftakt zur künftigen „Wasserwelt Lausitzer Seenkette“ (Landschaftsinsel 5) bildet. Noch aber können Besucher von der IBA-Terrasse oder der nahegelegenen Victoriahöhe tief in das Tagebauloch hinein blicken oder unter fachkundiger Führung bis zur Sohle der Grube hinabsteigen. Im nächsten Jahr wird auch hier die Flutung beginnen.

Ein besonderer Höhepunkt der IBA könnte die Landschaftsinsel 4 werden: „Welzow: Landschaft im Wandel“. Noch allerdings ist das vielversprechende Projekt „Wüste/Oase Welzow“ nicht in trockenen Tüchern, denn es sind noch einige (u.a. bergbaurechtliche) Fragen zu klären. Was den Ort und das Projekt so besonders heraushebt, ist die Tatsache, dass hier einer von noch vier aktiven Tagebauen direkt neben einer temporären Intervention einer Tagebaufolgelandschaft zu erleben ist. Nach einem Konzept von Becker Giseke Mohren Richard mit archiscape könnte hier eine dem Verlauf des Tagebaus und des damit zusammenhängenden Schüttprozesses immer wieder neu anzupassende Neuformatierung einer künstlichen Landschaft erfolgen, die sich ständig wandelnde Erlebnisräume formt.

Vielschichtige Kulturlandschaft

Wer eine Zeitreise durch zehntausend Jahre Niederlausitz machen will, dem sei besonders die Landschaftsinsel 6 „Seese-Schlabendorf: Vorindustrielle Kultur - Nachindustrielle Natur“ empfohlen. Unmittelbar neben der Autobahn Berlin-Cottbus liegt die Slawenburg Raddusch, die Replik einer am gleichen Ort nachweisbaren Fluchtburg mit modernem Innenleben (Ausstellungs- und Gastronomieräume). Das Bauwerk gibt einen guten Eindruck von den Fertigkeiten des slawischen Stammes der Lusizi, der ab dem 9. Jahrhundert in der Gegend siedelte. In der Ausstellung erfahren Besucher, dass schon vor rund zehntausend Jahren, also in der Steinzeit, in der heutigen Lausitz Bergbau betrieben wurde. Doch erst im 20. Jahrhundert vermochten es die Menschen, das Land auf eine Weise zu bewegen, die seine Erscheinung nachhaltig prägen sollte. Wie rücksichtslos mitunter der Braunkohletagebau nicht nur gegen ganze Dörfer (nahezu achtzig fielen ihm zum Opfer), sondern auch gegen Kulturlandschaften vorgerückt ist, lässt sich sehr anschaulich in Fürstlich Drehna studieren: Dort wurde das schmucke Wasserschloss fast zur Hälfte seines 52 Hektar großen Parks beraubt, der jäh an einer ehemaligen Tagebaukante endet. Inzwischen wurden 12 Hektar rekultiviert und ein neuer Schlossteich angelegt. Auch im zwischenzeitlich als Jugendgefängnis genutzten Schloss kehrt bald neues Leben ein: Zur Zeit wird es für eine Hotelnutzung der gehobenen Klasse umgebaut. Die IBA Fürst-Pückler-Land versteht sich in erster Linie als Werkstatt für neue Landschaften. Was die Niederlausitz gerade jetzt so sehenswert macht, ist der Prozess der fortwährenden Transformation. Die größte Landschaftsbaustelle Europas ist in diesem Jahr ein besonders lohnendes Ziel!

Quelle: DAB - Deutsches Architektenblatt

zurück

letzte Änderungen: 13.3.2017 22:12